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Dekubitus - Risikoeinschätzung, Prophylaxe und Behandlung

Dekubitus

Zur Ermittlung des individuellen Dekubitusrisikos dient die klinische Einschätzung durch eine Pflegefachkraft. Durch Beobachtung und Informationssammlung entsteht ein umfassendes Bild zu vorliegenden Risikofaktoren unter Berücksichtigung des gesamten Gesundheitszustands.

Entscheidend sind dabei Umstände, welche die Wirkung von Druck und Scherkräften verlängern und/oder erhöhen können, wie Einschränkungen der Mobilität. Kann bei der klinischen Einschätzung das Dekubitusrisiko bei Erstkontakt und Anamnese nicht initial ausgeschlossen werden, erfolgt eine differenzierte Risikoeinschätzung auf Basis einer detaillierten Analyse der individuell bestehenden Risikofaktoren sowie einer Hautinspektion. 1

Individuelle Risikofaktoren

  • Einschränkungen der Mobilität und Aktivität (Lähmungen, Sedierung, Depressionen, Schmerzen, Schonhaltungen, Erkrankungen, etc.)
  • Einschränkungen der Sensibilität und/oder des Bewusstseins (Polyneuropathien z. B. bei Diabetes mellitus, Lähmungen, Narkosen, etc.)
  • Medizinische Geräte und Applikationen, die sich in unmittelbarem Kontakt zur Haut/Schleimhaut befinden (Katheter, Kanülen, Sonden, Verbände, Anti-Thrombosestrümpfe, körpernahe Fixierungen, etc.)
  • bestehender oder abgeheilter Dekubitus
  • Untergewicht
  • Alter


Risikoskalen zur Dekubituseinschätzung

Zur Einschätzung eines Dekubitusrisikos stehen verschiedene Skalen zur Verfügung. Am bekanntesten sind die modifizierte Norton- und Braden-Skala. Doch bereits der überarbeitete Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege, 2010“2 gibt keine generelle Empfehlung mehr zum Einsatz von Risikoskalen, da ihr klinischer Nutzen in der Praxis nicht belegt werden konnte. Allerdings wird eingeräumt, dass Skalen für noch weniger erfahrene Pflegefachkräfte eine Sensibilisierung für die Risiken darstellen können.

 

Hautinspektion zur Risikoeinschätzung

Bei der Hautinspektion sollten insbesondere die Prädilektionsstellen für Dekubitus wie konvexe Strukturen über knöchernen Vorsprüngen im Fokus stehen. Befinden sich an diesen oder anderen Stellen Rötungen, muss mittels des sogenannten Fingertests festgestellt werden, ob eine vorübergehende oder eine persistierende Rötung besteht, bei welcher es sich bereits um einen Dekubitus handelt.

 

Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe

Im Mittelpunkt der Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe steht die Druckentlastung gefährdeter Körperstellen sowie die Druckverteilung. Die Wirksamkeit der prophylaktischen Maßnahmen wird in individuell zu bestimmenden Abständen gemäß der in der Risikoeinschätzung festgelegten Intervalle durch eine sorgfältige Hautbeobachtung überprüft.

 

Maßnahmen zur Druckentlastung und -verteilung im Überblick:

  • Förderung der Eigenbewegung des Patienten
  • Positionierungen und Positionswechsel
  • Vollständige Entlastung stark gefährdeter Körperstellen („Freilage“)
  • Vermeidung bzw. Reduktion der therapiebedingten Einwirkung von Druck- und Scherkräften
     

Damit ein Dekubitus erfolgreich verhindert werden kann, muss die Kontinuität der Maßnahmen genauso gewährleistet sein, wie die Mitwirkung von Patienten und Angehörigen durch geeignete Schulungsmaßnahmen.


Dekubitusbehandlung

Druckentlastung. Positionierung. Wundversorgung.

Die Gesamtbehandlung des Dekubitus umfasst neben der ausführlichen Wundanamnese inklusive Klassifikation, die lokale Behandlung mit Maßnahmen zur Wundreinigung und -versorgung sowie die Kausaltherapie u. a. mit Maßnahmen zur vollständigen Druckentlastung, Ernährung und Schmerztherapie.


Maßnahmen zur Druckentlastung und -verteilung

Druckentlastung und Druckverteilung haben sowohl bei der Dekubitusprophylaxe als auch der Behandlung oberste Priorität. Insbesondere bei einem bestehenden Dekubitus ist die konsequente vollständige Druckentlastung durch regelmäßige Positionswechsel und entsprechende Hilfsmittel der entscheidende Faktor. Denn ein Dekubitus kann nur heilen, wenn er keinem Druck ausgesetzt ist. Die Druckentlastung ist die Voraussetzung für die Wiederherstellung der Durchblutung und Sauerstoffversorgung des geschädigten Hautareals, d. h. grundlegend für den Wundheilungsprozess.


Auf die Lage kommt es an

Die Wichtigkeit der Positionsänderungen bei der Dekubitus-Behandlung und der Dekubitusprophylaxe findet sich u. a. auch in den konkreten Handlungsanweisungen der aktuellen Kurzfassung der EPUAP Leitlinie 20193 wieder: Bei allen Personen mit vorhandenem Dekubitus oder einem Dekubitusrisiko sollten Positionsänderungen nach einem individuellen Zeitplan durchgeführt werden, sofern diese nicht kontraindiziert sind. Empfohlen wird i. d. R. mit einem 2-stündigen Intervall zu beginnen und dies je nach Wirkung zu verkürzen oder zu verlängern.

Unabhängig von den Positionierungsintervallen gilt für alle Positionierungen:

  • so viel Körperoberfläche wie möglich aufliegen lassen, da zunehmende Auflagefläche den Druck reduziert
  • so wenig Lagerungshilfsmittel wie möglich – so viele wie nötig verwenden!
  • Druck erzeugt Gegendruck, deshalb keine harten Lagerungsmittel und Gegenstände verwenden
  • je weicher die Lagerungsfläche (Matratze, Kissen), desto schlechter die Körperwahrnehmung
  • Hilfsmittel (Antidekubitus-Matratze etc.) ersetzen die regelmäßige Umlagerung des Patienten nicht
  • Lagerungsmittel wirken nur, wenn sich wenig Material zwischen Matratze und Patient befindet
  • Rückenlage oder Lagerung im Langsitz vermeiden bzw. nur zu therapeutischen Zwecken kurzzeitig einsetzen

 

Präventive Hautpflege und Hautschutz

Die NPUAP/EPUAP/PPPIA Leitlinie (2019)4 empfiehlt die Haut des Pflegedürftigen sauber und angemessen feucht zu halten sowie nach jeder Inkontinenzepisode zu reinigen. Von der Verwendung von alkalischen Seifen und Hautreinigungsmitteln ist dabei abzusehen.

Darüber hinaus wird empfohlen, die Haut mit einem Hautschutzprodukt und Inkontinenzprodukten mit hoher Saugfähigkeit vor übermäßiger Feuchtigkeit zu schützen.

Auch Silikonschaumstoffverbände können zum Schutz der Haut bei Personen mit Dekubitusrisiko empfohlen werden.

 

Wundversorgung bei Dekubitus

Die Versorgung eines Dekubitus entspricht den Prinzipien der modernen Wundversorgung und richtet sich u. a. nach Wundstadium, Wundtiefe und Exsudationsgrad.

Die EPUAP Leitlinie 2019 fasst die zu berücksichtigenden Kriterien zur Wahl des geeigneten Wundverbands wie folgt zusammen:

  • Durchmesser, Form und Tiefe des Dekubitus
  • Beurteilung der Keimbelastung
  • Fähigkeit, das Wundbett feucht zu halten
  • Art und Menge des Wundexsudats
  • Zustand des Gewebes im Wundbett
  • Zustand der Haut in der Umgebung der Wunde
  • Vorhandensein von Tunneln und Wundhöhlen
  • Schmerz


Regelmäßige Kontrolle, Reinigung und Debridement des Wundgrundes sowie Hautpflege der betroffenen Hautbereiche gehören dazu. Zudem ist bei Dekubitus-Patienten auf ausreichende Protein- und Flüssigkeitsversorgung zu achten. Bei Schmerzen ist eine adäquate Schmerztherapie durchzuführen.

Dekubitus KategorieWundversorgung
Dekubitus Kategorie IHautpflege, Druckentlastung, Positionierung
nicht infizierter Dekubitus Kategorie II

Hydrokolloid Verbände
Hydrogel-Verbände
Polymer-Verbände

Dekubitus Kategorie II mit höher/mäßigem ExsudatSchaumstoffverbände und Hydropolymere
nicht infizierter Dekubitus Kategorie III und IV

Hydrogel-Verbände (bei minimalem Exsudat)
Calcium-Alginat-Verbände (bei mäßigem Exsudat)

Bei stark exsudierendem DekubitusSuperabsorbierende Wundverbände



Bei primären Wundauflagen sollte eine entsprechende sekundäre Wundauflage gewählt werden.


Infektion und Biofilme

Verzögerte Wundheilung, (lokale) Überwärmung und Exsudatmenge, nekrotisches Gewebe, starke Schmerzen und übler Geruch können u. a. Anzeichen dafür sein, dass eine infizierte Dekubituswunde vorliegt. Der Erregernachweis und die Berücksichtigung eines bestehenden Biofilms sind dann notwendig. In Verbindung mit einem regelmäßigen Debridement wird hier die Verwendung von topischen Antiseptika sowie systemischen Antibiotika zur Behandlung empfohlen.
Bei nicht-heilenden Dekubitus kann gemäß EPUAP Leitlinie (2019) der Einsatz von biologischen Verbänden und Wundauflagen in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus können zur Förderung der Heilung moderne Therapien wie Anwendung von Wachstumsfaktoren oder biophysikalischen Wirkstoffen zum Einsatz kommen.
Unter bestimmten Umständen, wie Verdacht auf Sepsis, kann es zudem erforderlich sein, bei nichtheilendem Dekubitus eine chirurgische Intervention zu prüfen.


Weiterführende Informationen zu Wundversorgung und geeigneten Wundauflagen finden Sie auf unserer  Website


Quellen:

  1. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP), Ed. Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege. 2. Aktualisierung 2017, einschließlich Kommentierung und Literaturstudie. DNQP; 2017.
  2. Stefanie Hellmann , Rosa Rößlein. Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege. Humboldt Verlag; 2010.
  3. National Pressure Ulcer Advisory Panel, European Pressure Ulcer Advisory Panel und PanPacific Pressure Injury Alliance. Prevention and Treatment of Pressure Ulcers: Quick Reference Guide. Emily Haesler (Ed.). Cambridge Media: Osborne Park, Western Australia; 2014. Deutsche Übersetzung unter http://www.epuap.org/wp-content/uploads/2016/10/german_quickreference-guide.pdf.
  4. European Pressure Ulcer Advisory Panel, National Pressure Injury Advisory Panel and PanPacific Pressure Injury Alliance. Prevention and Treatment of Pressure Ulcers/Injuries: Quick Reference Guide. Emily Haesler (Ed.). EPUAP/NPIAP/PPPIA; 2019.

 

 

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